Beschreibung

Ein langgehegter Wunsch geht in Erfüllung
In manchen Dörfern des sogenannten Kirchspiels Leuggern standen gegen Ende des 19. Jahrhunderts Gotteshäuser, nicht aber in Reuenthal. Auch das am Rhein gelegene Full, mit dem Reuenthal eine politische Gemeinde bildet, besass eine Kapelle, deren 100-jähriges Bestehen die Fuller 1895 feiern konnten. Der Wunsch nach einem eigenen Sakralbau war bei der Reuenthaler Einwohnerschaft schon lange vorhanden. Nun sollte er endlich erfüllt werden. Eifrig wurde Geld gesammelt und einige Einwohner versprachen die Lieferung von Bauholz aus ihrem Wald. Ende Juni 1895 vergab die Baukommission die Arbeiten und ein halbes Jahr später stand die Kapelle. 3870 Franken kostete das Kirchlein, die Glocke eingerechnet – viel Geld für eine so kleine Gemeinde. Der grösste Teil der Kosten war durch Spenden gedeckt, für den Rest, rund 1100 Franken, verschuldete sich die Ortsgemeinde. Die vom Dekan vorgenommene Kapellenweihe am 19. Oktober 1896 war für das Dörfchen ein grosses Ereignis. Zum Kapellenpatron bestimmte die Reuenthaler Ortsversammlung die Heilige Familie. Ihre Verehrung erlebte gerade im 19. Jahrhundert einen Aufschwung und wurde besonders vom damaligen Papst Leo XIII. (1878–1903) gefördert.

Grosse Fenster

Das Kirchlein steht ohne Zweifel an einem schönen Platz, etwas erhöht bei einer Wegkreuzung in der Dorfmitte. Auffällig sind die fünf grossen Fenster des Gebäudes, wovon drei auf der Sonnenseite sind. Sie lassen viel Licht in den Kapellenraum fluten. Das Innere wirkt hell und freundlich. Die Ausstattung ist bescheiden. Den Blick zieht es auf das Kruzifix an der Rückwand des Chors und den modernen Altar. Das Kruzifix stammt wahrscheinlich noch aus der Anfangszeit der Kapelle. Den Choreingang flankieren zwei Holzfiguren aus einer Werkstatt im bayrischen Oberammergau, wo die Bildschnitzerei seit Jahrhunderten beheimatet ist. Die Statuen stellen die Heilige Familie dar: Maria mit dem Jesuskind und Josef mit den Attributen Hobel und Winkelmass, den Werkzeugen der Zimmermänner. Speziell sind die modernen Kreuzwegstationen, gestiftet und gestaltet von Mitgliedern des Kapellenvereins, dem heutigen Eigentümer des Gotteshauses. Einen Besuch wert ist die während der Weihnachtszeit im Chor der Kapelle aufgestellte Krippe, deren Figuren ebenfalls von Gönnern gestiftet wurden.



Spiritueller Impuls: Heilige Familie = heile Familie?
Zur Linken steht Josef mit seinen Arbeitswerkzeugen. Er sieht zur anderen Seite: Zu Maria mit dem Kind, das nicht seines ist, und die er eigentlich still und leise hatte verlassen wollen. Doch ein Engel hielt ihn ab. Er blieb und begleitete Mutter und Kind auf der Flucht. 
Maria ist ganz ihrem unehelich empfangenen Kind zugewandt, das später als erwachsener Wanderprediger seine ihn suchende Herkunftsfamilie mit den Worten zurückweisen wird: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?“ Als er grausam stirbt, ist sie dennoch wieder bei ihm. Die heilige Familie war alles andere als eine heile Familie und entsprach ganz und gar nicht unseren Vorstellungen, wie Familie sein sollte. Um Heilig, von Gottes Gegenwart, gehalten zu sein, braucht es keine heile Familie, brauchen wir nicht heil zu sein.

Quelle: www.aargauerkapellen.ch